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Der Lautmaler

Eine Scheibe, mit deren Inhalt ich schon wochenlang lebe, an die ich von Anfang an auch die höchsten Ansprüche stellte und die mich nicht enttäuscht hat: Dominic Millers „Absinthe“. Miller ist schon viele viele Jahre der Gitarrist von Sting und hat die Ideen des Anführers stets kongenial mit großer Inspiration umgesetzt. Neuerdings bringt er dazu auch seinen Sohn mit, der ebenfalls Gitarre spielt. Davor war er jahrelang als Studiomusiker tätig, hatte unter anderem für Phil Collins, Paul Simon, und viele andere Superstars gespielt. So hatte er unter anderem bei etwa 250 Tonträgern mitgewirkt, ehe er zur Band von Sting kam. Geboren in Argentinien als Sohn eines amerikanischen Vaters und einer irischen Mutter, wuchs Miller ab dem Alter von 10 Jahren in den USA auf und ging dann in England weiter zur Schule. In der Vergangenheit hatte ich ihn immer wieder gehört und war überwältigt von seiner erzählenden Art, die auf nahezu endlosem technischem Können fußte und sich trotzdem nirgendwo mit leerem Virtuosentum aufdrängte. Er erzählte mir mit seinem Instrument die Dinge, die man auf der Gitarre erzählen kann, wobei bei ihm stets seine argentinische Vergangenheit eine wichtige Rolle zu spielen schein. Auf dem von Manfred Eicher nun produzierten ECM-Album spielt der Schlagzeuger Manu Katché mit, der Keyboarder Mark Lindup, der Bassist Nicolas Fiszman sowie Santiago Arias aus Buenos Aires am Bandoneon. Zurückhaltende, melancholische Melodien zieht Arias, genau wie Miller selbst. Es entsteht eine lautmalerische Atmosphäre, die frei über einen kommt und einen nicht mehr los lässt. Zum Beispiel auf „Saint Vincent“, dem letzten Stück des Albums, das sich nicht auf Vincent van Gogh bezieht, sondern auf den verstorbenen kamerunischen Gitarristen Vincent Nguini, der lange mit Paul Simon gespielt und aufgetreten war. Miller schwärmt von dessen großartigem Timing und versucht, dies auch ein wenig in sein Album einzubringen. Es spielt Miller hier auf der gelegentlich von der Stahlsaitengitarre ergänzten Nylongitarre, die von „Absinthe“, dem Auftaktstück bis „Saint Vincent“ durchweg das akustische Geschehen prägt. Stets scheinen die Musiker auf hohem Niveau aufeinander einzugehen, scheint lebendige Interaktion angesagt. Natürlich hat Miller, wie er bekennt, auch die großartigen Alben in Erinnerung, die Manfred Eicher zusammen mit dem großen brasilianischen Gitarristen Egberto Gismonti produziert hat. Freilich gibt Miller auf „Absinthe“ seinen Mitmusikern viel mehr Raum, scheint den Austausch zwischen den Individuen voran zu bringen. Und immer sind da diese Lautmalereien mit Santiago Arias. Sie schieben sich samten an Millers Malereien. Sie ergänzen sich. Sie malen aus. Sie deuten an. Sie wecken die Phantasie. Was gibt es besseres?