Es gibt Termine und Konzertbesprechungen, an die erinnert man sich gerne. Die bringen einem persönlich etwas. Ich hatte damals einen Pflichttermin im Club Laboratorium auf dem Programm und recherchierte natürlich zuvor den Kontext. War dann zuerst überrascht und dann empor gezogen von einem Auftritt, den ich so intensiv nicht erwartet hatte. Ich habe dann erst später besser verstanden, welche Bedeutung diese Formation in der Schweiz hatte und welch ungeheures Talent da als Endo Anaconda auf der Bühne stand, umgeben von einer Band, die so recht zu ihm zu passen schien, die die richtigen Töne schuf. Jetzt erfuhr ich, dass das letzte Album von der Band Stiller Has‘ auf uns kommen soll. Aus diesem Anlass bringe ich nochmal meine Besprechung aus dem Laboratorium des Jahres 2006: „Zum Lachen schön - Stiller Has im Laboratorium - „Ich wünsche mir einen neuen Hintern, weil, mein alter hat ein Loch“. Sätze sind das, die zu Versen werden und zu Aphorismen gefrieren. Sätze, die zuerst in einem versuchten Hochdeutsch gesprochen und dann herb gesungen von der Bühne kommen. Der schlecht gescheitelte Sprecher, der korpulente Frontmann und raunzige Sänger heißt Endo Anaconda und steht der Band Stiller Has vor. Vielleicht sind er und seine drei Mitspieler schräge Typen. Vielleicht passen sie deshalb so gut zur Reihe „Alpenrauschen – schräge schweizer Töne“ im Laboratorium. Weil sie ja auch noch Schweizer sind. Dabei lauscht dieser Sänger dem Alltag nur seine eigene Perspektive ab, mit sanfter Ironie, beißender Selbstironie, mit skurrilem Zynismus und sentimental verdrehter Sehnsuchtspoesie. Ist das schräg? Oder ist der Alltag schräg? „Ich ziehe mein Gesicht aus, bleibe Clown und fahre bis zur Endstation. Das Leben ist eine Geisterbahn“.
Es ist so etwas wie ein eigenwillig tänzelnder Sprechgesang im berndeutschen Dialekt, der uns solche Apercus bereit hält und die Fantasie damit von Klippe zu Klippe springen lässt. Darunter federt weich die Musik, die aus sich selbst zu strömen scheint und die ist, die in diesem Moment einfach gemacht werden muss: ein bisschen Bluesswing, ein paar in melancholischem Moll durchstochene Akkorde und ein bisschen Beatmusik, die im Grunde so gewöhnlich wie der Umstand ist, dass in der Schweiz jeder Zweite Beat heißt. Nichts Aufdringliches, nichts bemüht Originelles, - aber das wirkungsvoll reduziert. Der Gitarrist Schifer Schafer meditiert seine Akkorde tief in sich versunken, der neue Schlagzeuger Martin Silfverberg streichelt listig die Felle und der ebenfalls neue Bassist Samuel Jungen zerrt grob an dicken Saiten oder brummelt „Ahoi“ ins Mikrofon.
„Ich fühle mich wie ein gestrandeter Korsar im Emmental, Pirat zu sein ist ein Zustand der Seele“ beklagt der singende Sohn eines Polizisten aus dem Emmental und einer Österreicherin, um sogleich bitter Selbstvergessenes hinzuzusetzen: „Im Nordmeer ist mir die Hand abgefroren, die Nase blieb in der Beringsee. Auf dem linken Auge bin ich blind und den Spitz meines besten Stücks hat in Shanghai ein Hai abgebissen“. Wenn einem so viel Übles widerfährt, ist das schon einen Lacher wert. „Glugg, glugg, schon wieder ist ein Schiff versunken. Irgendwann einmal säuft jeder Seemann ab…“ heißt’s im Titel „Sonnenbrille“. Und es ist so etwas wie ein Refrain, wenn dann die Musiker um die Wette lachen „hahahahaha...“. Geisterbahn fahren kann zum Lachen schön sein.“