Musiker scheinen meiner Meinung und Erfahrung nach immer sehr egoistisch, egomanisch und unreflektiert zu sein. Das ist oft ihre Stärke und Schwäche zugleich. Gerade diejenigen Musiker, die weit draußen operierten, die Experimente machten, die sich weit aus dem Fenster lehnten und die scheinbar abseitige Sachen versuchten, scheinen besonders gerne zum Konservativ Gekonnten, zum Traditionell Sicheren, zum durch Konventionen Gesicherten zurück kehren zu wollen. Es scheint eine Sehnsucht danach zu bestehen, wenn man lange genug im Nebel gesucht hat und mit Hypothesen gespielt hat, zur Macht des Faktischen zurück zu kommen. Zu dem, was ein breites Publikum goutiert und als "echt" empfindet. Darüber hinaus ist das dann nur noch eine Frage des Handwerks. Man erinnert sich, was man einst gelernt hat, was man besser beherrscht als andere.
In einer Notiz, die ich später in ein Blog einbringen wollte, schrieb ich das im Jahr 2012: „Beim Hören der neuen Scheibe „Privateer“ von Mark Knopfler und der ebenso neuen Scheibe „Tempest“ von Bob Dylan ging mir Folgendes oft durch den Kopf:
Vielleicht ist es so etwas wie der kollektive Strom der Identität in der Musik, nach dem sich besonders reife Musiker immer wieder zurücksehnen: Volksmusik, Popmusik, populäre Musik, „einfache“ Musik, raue und rohe Musik bestimmter sozialer Schichten, die damit ganz direkt ihre Probleme ausgedrückt haben... Eric Clapton zeigt immer wieder spielend auf den Blues als seine Wurzel, ja, er produziert ganze CDs, die auf die Väter des Blues zeigen. Gary Moore hat's so gehalten und Van Morrison macht's genauso mit der sogenannten keltischen Musik (wer weiß, wie die geklungen hat) in der Volksmusik ihrer irischen Heimat. So etwas scheint schön und herzerwärmend: diese Musiker wissen, woher sie kommen. Sie scheinen in irgendwas Urigem und „Echtem“ verwurzelt.
Es mögen dabei freilich auch Marketinggesichtspunkte eine Rolle spielen, um folkloristisch orientierte Zielgruppen einzufangen und auf die kaufende Seite zu bringen. Ob solche Fans „ehrlicher Echtheit“ freilich das Bild reicher Millionäre goutieren, die als gefeierte Solisten am Swimmingpool ein paar gelangweilte Fingerübungen machen, um der Welt eine Vorstellung von sich zu verkaufen: seht her, das bin ich! Ich kann das auch. Ich bin im Wahren verankert, das wir ja alle in dieser künstlichen Welt suchen. Doch auch Authentizität ist manchmal nur ein Spiel, etwas Technisches, das sich jeder mit genügend Übung aneignen kann! Für Clapton war der Blues immer eine mystische Kraft und Inspiration. Knopfler hat den Blues, - so weit ich sehe - immer vermieden. Aus guten Gründen. Aber jetzt tischt er ihn auch auf, als eine amerikanische Spezialität, die er gelassen gekonnt zitiert. Als Simulation.
„Ist mir doch egal, solange er es gut macht...“ Diese Argumentationen höre ich schon im Voraus. Ist der Blues wirklich nur etwas Technisches? Dann wären es ja tatsächlich nur die drei Akkorde und die Wahrheit. Das mit der Wahrheit ist so eine Sache, gewiss. Ob ein Musiker zu deren Bekenntnis da ist? Nun ja. Aber er „verkauft“ gerne seine eigenen Wahrheiten. Und er biedert sich damit an. Wenn es geht, auf Plakatwänden und in Werbespots. Er steht gerne dafür, er will zumindest in der älteren Generation dafür einstehen.
Vielleicht sind diese Leute es aber auch nur müde, sich selbst als unendlich individualisierte Einzelmenschen darstellen zu sollen, als Großkünstler und Halbgötter, die allen anderen etwas voraus haben. Vielleicht sehnen sie sich im Zeitalter der Popmusik-Leistungskurse in das zurück, aus dem sich einst die Rockmusik gespeist hat: Das Kollektive, der breite Strom der Energie, der idealistische Motive genauso getragen hat, wie den Willen zur Selbstermächtigung und zur Selbstverwirklichung gegen Widerstände. Das Rebellische. Seitdem aber Selbstverwirklichung zu einem allgemein akzeptierten Credo dieser neoliberalen Marktwirtschaft geworden ist, ja, seitdem sie sich immer mehr sogar als Verpflichtung zur Selbstoptimierung entwickelt, haben sich die Bedingungen deutlich geändert. Riten und Rituale sind da eherne Gewissheiten und symbolisieren nicht nur die Macht der Gewohnheit. Sie sind vielleicht das, was uns allen noch als Gemeinsames geblieben ist. Das Menschliche vielleicht, - und letzte Gewissheiten. Der Impuls. Die Basis. Glaubwürdigkeit als letzter Antrieb neben dem Geld....gerne auch verbunden mit einer Art von wohlfeiler Religiosität aus dem Supermarkt der Bewusstseinswaren. Underdog- und Hobo-Romantik, an die sich einfache Lösungen für schwierige Probleme heften. Ein Popmillionär singt gerne Arbeiterleider vom Darben und von der verletzenden Genusssucht der Bosse. So etwas erscheint zumindest fragwürdig. Auf musikalischer Ebene schmückt sich da ein Popstar gerne mit fremden Federn. Die Gegenwart ist schlecht, also lasst uns das Heil in der Vergangenheit suchen! In der Tradition. Ob das auch etwas Reaktionäres hat? Etwas nostalgisch Rückschrittliches? Ob sowas tricky ist? Ob hier Gewinner etwas kokett über ewige Verlierer schwadronieren? Ob der Halt in der Vergangenheit liegt? Solche Fragen gehen einem durch den Kopf.
Die schöne Melancholie der Gleichgültigkeit lässt sich gerne in die drei Akkorde des Blues kleiden. Retro rules. Das einfache Leben als Mythos der schwierigen Gegenwart. Das Elend der Obdachlosen als Projektionsfläche für geschmeidige Phantasien der Popmusik. Mir wird da ein bisschen komisch zumute, mag der Blues noch so gekonnt gekünstelt in de-luxe-Manier gespielt sein. Familie, Herkunft, Heimat, Religion: alles verblasst in modernen Zeiten. Was liegt da näher, als Orientierungslosigkeit wortreich verrätselt zu verwandeln in eine ständige Neuerfindung des Ich? Popstars wissen, wie es geht. Street Credibility. Authentizität. Die echte Suche nach der vergangenen Echtheit. Der Blues ist aber ein Tanz auf des Messers Schneide. Ist eine Haltung. Hat etwas damit zu tun, dass jemand kollektives Leiden artikuliert. Er hat vielleicht nicht allzuviel mit neuem Wein in alten Schläuchen zu tun. Er kann etwas Unperfektes haben, etwas Offenes und Verwundetes. Er ist ein Schrei und nicht nur die Simulation eines Schreis. „Privateer“ hingegen klingt in manchen Ohren gelegentlich auch nach Privatisierung und dem trockenen Charme derer, die es geschafft haben. Dabei ist der Blues längst zu einer Vorzeigenummer geworden, er hat seine Konventionen ausgeprägt, hat seinen emotionalen Gehalt verkauft.
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