Es war Liverpool. Es war oft genug auch Manchester. London weniger: in dieser Stadt strömte alles zusammen, dort wurden die von außen kommenden Einflüsse nur geformt und vermarktet. Weiter zurück in der Vergangenheit war es auch einmal Kansas City, das zu einem gewissen Zeitpunkt musikalische Genies hervorbrachte und einen bestimmten Sound hatte (Miles Davis, Charlie Parker). Später nicht mehr. Merkwürdig. New Orleans. Chicago. Memphis. Auch San Franzisco, Ende der sechziger Jahre. Die Liberalität dieser Stadt, Flower Power, Hippies und der Zeitgeist spielte dabei seine Rolle. Die Motorstadt Detroit mit ihrer Plattenfirma Motown, die als Fabrik unzähliger Nummer-Eins-Hits „schwarze“ Musik in die weißen Hitparaden brachte und den Rassenunruhen ein Ventil des Aggressionsabbaus verschaffte: Steve Wonder, Marvin Gaye, die Supremes, die Temptations, - später gab es dort auch noch ein kurzes Aufblühen des Techno. Dann der weiße Eminem, der den „schwarzen“ HipHop für seine Zwecke okkupierte und am Himmel des Showgeschäfts erst zu einem Superstar und dann zu einer Supernova wurde, um sodann in all seiner gereimten Wortgewandtheit zu verglühen. Detroit klingt schwarz. New York, dieser Mythos der weltoffenen Megalopole ist dagegen zeitlos, „City, that never sleeps“. Aus der Zeit gefallen. Eine Stadt der urbanen Avantgarde, die künftige Lebensverhältnisse auf ihre Weise künstlerisch vorausahnt. Als fruchtbarer Humus für jegliche Kreativität, - so das Klischee.
Ob Pop oder Jazz: Jede Stadt hatte ihren eigenen Sound, so scheint es. Soziokulturelle Gegebenheiten waren dafür auch verantwortlich, gewiss. Die typischen und vom Klischee her bekannten schwarzen Baumwollpflücker am Mississippi-Delta mit ihrem Blues und ein frecher junger Elvis von nebenan, ein kecker Lastwagenfahrer, der ihnen den Sound stiehlt, weil das am nächsten liegt, als ein Vehikel für seine Fahrt zu den Sternen, direkt hinein in den Himmel. Es war vielleicht auch die Trostlosigkeit grauer englischer Industriestädte, ihre festgefügte Klassenstruktur, die nur wenige Wege für ein Entkommen offen ließ. Die Popmusik ist solch ein Weg. Darin ist sie längst zum mythenumglänzten Versprechen geworden. Oft hat sie ein dunkler Drang zum Ausdruck gespeist, der verwurzelt ist im Kollektiven einer gewachsenen Umwelt. Dublin, das katholische, das der mystischen Suche eines Van Morrison in den Siebzigern oder den gebrochenen Heilsbotschaften Band U2 in den Achtzigern einen Rahmen bot: wie religiös befrachtet klang das alles, wie tiefsinnig im Symbolischen fischend. Seit Irland zu einem prosperierenden EU-Mitglied geworden ist, kommt von Irland nicht mehr viel Neues. Zufall?
Jimi Hendrix wollte aus seiner Heimatstadt Seattle möglichst schnell herauskommen und kam schließlich in London groß heraus. Heute haben sie ihm in Seattle ein lausiges kleines Museum eingerichtet, ein kleiner Gedenkstein gammelt vor sich hin und manche Reiseführer führen seinen Namen auf. Sonst erinnert nicht viel an den großen Sohn der Stadt (die Microsoft-Gründer sind da schon eine andere Hausnummer...). Aber Hendrix spielte ja nicht den Sound von Seattle, sondern eher den des nahen San Franzisco. Seattle wurde erst mit dem Auftreten des Grunge in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einer heiligen Stadt des Pop. Irgendwann in den späten Siebzigern kam erst noch die Dekade von Los Angeles, die große Entspannung, das Leben am Swimming Pool, die großen Studios, Plattenfirmen und die Mega-Umsätze der späten achtziger Jahre. Die Westcoastmetropole schien alle Kreativität aufzusaugen und in eine professionell gestanzte Währung zu verwandeln. Gerade daraus wurde ein Stil, zeitweise, eine in Noten gesetzte und zur Schau gestellte Haltung. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen bis hinein in die kleinsten Subspecies. Wieso bilden sich Städte und Regionen ausgerechnet in ihrer Popmusik ab, klingen auf eine ganz bestimmte Art, scheinen eine eigene Frequenz zu haben? Metropolen scheinen ja doch inzwischen global austauschbar zu sein. In den Schaufenstern ihrer Kaufkathedralen werden Labels, Brandings und Produkte aller Art zum Verkauf gehalten. Die selben Konzerne dominieren die immer gleichen Produkte, die selben Wolkenkratzer und Probleme überall. Global sein heißt es in diesem Falle: überall gleich präsent. Ohne jede Identität abseits der Marke.
Natürlich, da ist der Einfluss starker Persönlichkeiten auf Musikercliquen, auf local scenes, da sind die Strategien des gegenseitigen Lernens und Kopierens. Des „Voneinander-Abschauens“. Schnell können sich Formeln und Routinen bilden, die zu diesem Zeitpunkt an keinem anderen Ort hätten entstehen können und sich später dann doch an jedem anderen Ort reproduzieren lassen. Aber ist da auch das Publikum, das sich nach spezifischen Geschmackskriterien und einem Rezeptionsverhalten bilden würde? Das Publikum bildet sich durch die Medien.
Mittlerweile hat sich das radikal gewandelt, alles in der Popmusik ist ortlos und global geworden, das, was war, war die alte, analoge Welt. Heute funktioniert das auf digitale Weise. Spezialisten spielen sich heute per Internet die Files zu, von irgendeinem Ort der Welt, egal wo. Sie bilden Stäbe, die wiederum den Produzenten zuarbeiten. Gebündelt wird das ganze dann unter einer Marke, meist US-amerikanischer Herkunft. Der Star. Der Superstar. Der Megastar. Neoliberale Realität. Die Band als soziales Modell scheint ausgedient zu haben, überhaupt scheint der soziale Austausch an Bedeutung verloren zu haben. Was zählt, ist der US-amerikanisch dominierte Erfolg, wie er etwa an den Posen und dem Auftreten des aktuellen US-Präsidenten abzulesen ist. Die Wertschöpfungskette soll schließlich dem „America first“ gehorchen, was alleine schon eine gewaltige Anmaßung ist, denn „America“ ist der Name des gesamten Kontinents, der in seinem Süden auch Länder wie Brasilien oder Argentinien umfasst. Der Norden soll für das Ganze stehen? Was gilt, ist wirtschaftliche Power. Die Reichen sind die Mächtigen im Staate, - nie waren die Mächtigen der USA darin schamloser als jetzt gerade.
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