Ich komme jetzt über einen Artikel, den ich 2005 geschrieben habe und in dem ich mir anhand eines Auftritts von Al Jarreau eher beiläufig Gedanken über die Stimme und das Singen gemacht hatte:
"Ich wählte die Überschrift „Mit der Stimme ein Häusle bauen“ zu „Al Jarreau und Band auf der Esslinger Burg“ - Ob die Stimme wirklich das Fenster der Seele ist? Oder ob diesbezüglich die Augen mehr sagen? Welche Rolle spielt dabei die „innere Stimme“? „Und was die innere Stimme spricht, das täuscht die hoffende Seele nicht“: Der Schiller hat’s behauptet und deshalb gibt’s uns zu denken. Ob’s stimmt? Herje, der zurzeit wieder schwer gehypte Klassiker wusste natürlich um den Gehalt seiner Behauptungen, - wer denn sonst?
Trotzdem, schöne Spekulationen sind’s, große Fragen für Psychologen, Dichter und esoterische Geister. Was ist die Stimme überhaupt im innersten? Bla bla, ratter ratter... Nun gut, Die Stimme ist ein Musikinstrument, das ist sie schon. Seele und Gefühle drücken sich vielleicht doch am Unmittelbarsten durch sie aus. Eine Ahnung davon überkommt uns, als wir Al Jarreau direkt vor uns auf der Bühne der Burg in Esslingen hören und sehen. Wie er da in ganzer Person zu seiner Stimme wird, wie er in ihr sich zu konzentrieren scheint, wie er sich durch sie in Töne verwandelt, wie er gurrt und gackert, raunt und flüstert und schreit und – singt, mal sanft weich, mal nachdrücklich hart und überhaupt, alles dazwischen auch, wie er Klänge aus der Luft holt und sie formt, sich aneignet, wie er sich strömen lässt in seiner Stimme, sich windet, tanzt und grimassiert, da scheint er sich selbst geradezu nach außen zu stülpen, da wird er selbst zu einem Instrument. Ob er uns damit etwas über sich erzählt? Das schon. Nur was? Wieder rattert das Gehirn etwas von Leidenschaft und Seele und Identität und Persönlichkeit. Bloß, was heißt das eigentlich konkret? Könnte es nicht auch sein, dass das in Wirklichkeit täuscht, das alles „nur“ ein Trick ist? Ein Showtrick, eine lebenslang eingeübte Nummer, die dieser Mann mit seinen 65 Jahren halt nun ganz besonders gut beherrscht? Schöner Schein. Tolle Stimme. Es ist das, was es ist, dieses „Stimmwunder“."